Die Den Jyske Opera nahm sich am 13.10.2023 unter seinem scheidenden Opernchef Philipp Kochheim, der sich seit Jahren der Wiederentdeckung und Aufführung von Raritäten verschrieben hat, nun des 1832 am Königlichen Theater Kopenhagen uraufgeführten „Ravnen“ (der Rabe) von Hans Christian Andersen an. Der jungen Andersen hatte bereits zuvor versucht, als Opernlibrettist Fuß zu fassen. Am Ende seines Oeuvres stehen neun Operntexte, von denen sechs das Licht der Welt erblickten. 1846 erfolgte noch einmal eine Überarbeitung von „Ravnen“, die aber beim Publikum durchfiel.
Weitaus besser kam die im gleichen Jahr uraufgeführte Oper „Liden Kirsten (klein Kirsten“ des Duos Hartmann/Andersen beim Publikum an. In der nun gezeigten, von Kochheim selbst überarbeiteten Version von „Ravnen“ mit hinzugefügten und abgeänderten Texten und aus den Ballettmusiken Hartmanns „Valkyrien (die Walküren)“ und „Thrymsqviden“ ergänzten Musikpassagen, zeigte sich deutlich, wieso eine Rarität durchaus nachvollziehbar über die Jahre nicht mehr auf den Spielplänen der Opernhäuser zu finden sein kann: Zum einen zeichnet sich der geheimnisvoll-märchenhafte Stoff um den Prinzen Jennaro (Anders Kampmann mit sehr überzeugend mit schön strömendem Tenor), der – nachdem er einen Raben geschossen hat – von einem mysteriösen Mönch verflucht wird, Schmerzen zu haben, bis er von einer bedingungslos liebenden Frau erlöst wird, durch einige Stereotypität der Charaktere aus. Zum anderen gibt es viel Musik, zwischen der sehr viel gesprochen und weniger gesungen wird.
Odense ist eine feine dänische Stadt, mit vielen verwinkelten Gassen in seiner Altstadt ein verwunschenes Kleinod und vielen Unternehmungsmöglichkeiten auf der mittig zwischen Jütland und Kopenhagen gelegenen Insel Fünen. Mit besonderem Flair zwischen Universitätsstadt, Ateliers, großer lokaler Bierbrauerei und Museen, in der Radverkehr und ÖPNV großgeschrieben werden, ist Odense dennoch drittgrößte Stadt Dänemarks.
Wenig bekannt ist, dass der bekannteste Sohn der Stadt Hans Christian Andersen heißt. Zu Beginn der Industrialisierung Boomtown, wuchs in der Nähe des Hafens, der nicht direkt an der Ostsee, sondern mit einem Kanal mit der See verbunden wurde, und der Eisenbahnlinie das Arbeiterviertel heran, in dem der große dänische Märchenschreiber 1805 als Kind eines armen Schuhmachers geboren wurde. Noch weniger bekannt ist, dass der junge Andersen nach dem Tod des Vaters nach Kopenhagen ging, um dort am Theater Schauspieler, Sänger und Künstler zu werden.
Auf seine Märchen wollte der schon zu Lebzeiten berühmte und gefeierte Däne nicht nur reduziert werden – zeichnet sich sein Werk doch durch eine schier unerschöpfliche Vielseitigkeit und großes Ideenreichtum aus. Im 2021 vom japanischen Architekten Kengo Kuma entworfenen Andersen-Museum an Stelle des Geburtshauses in Odense kann man sich mit neuester Technik und auf vielen Quadratmetern ein anschauliches Bild seines Lebens machen. Und auch die Liebe zur Musik wird bei einer Besichtigungstour durch das Museum deutlich: Denn H.C. Andersen schrieb auch Opern-Libretti, darunter für den dänischen Komponisten Johann Peter Emilius Hartmann.
Im Bühnenbild von Rifail Ajdarpasic hat sich Regisseur Kochheim daher für eine Zuspitzung auf die Hauptrolle der Armilla entschieden, die sich wie die Senta aus dem „fliegenden Holländer“ in der Lesart von Claus Guths Bayreuth-Inszenierung einen Erlöser aus dem Gefängnis des bürgerlich-spießigen Vaters herbeiträumt. Sibylle Glosted spielte und sang diese Rolle mit Intensität und Ausdrucksstärke. Ihre Projektion in das Märchenreich des Prinzen gelang nachvollziehbar über ihre Puppe, die in ihren Visionen als lebendige Verkörperung (getanzt von Keiko Moriyama) auch die Fesseln ihrer Gehbehinderung überwinden hilft.
Und so tanzen beide zur tiefgründigen Musik von Hartmann, der mit Italienità und einigen melancholisch-nordischen Einschlägen den interessantesten Part zu dieser Neuausgrabung lieferte. Am Pult des Odense Sinfonieorchesters begleitete Christopher Lichtenstein aufmerksam und mit vielen kleinen Gesten deutlich durch die farbige Orchestrierung. Drängen und Drama, Wehmut und Ekstase wurden so anschaulich und präzise-packend im voll besetzten Odenser Konzerthaus dargeboten. Christian Oldenburg sang einen überzeugenden Prinz Millo mit einiger differenzierter Lyrik, die nur in den Höhen etwas ausdrucksstärker hätte ausgesungen werden können.
Armillas Vater Norando wurde von Steffen Bruun mit tragender Melodik vor fahler Grundierung gegeben, während der Jennaro von Anders Kampmann sehr überzeugend mit schön strömendem Tenor punkten konnte. Die drei Wassernymphen (Eline Denice Risager, Estrid Molt Ipsen, Lina Valantiejute) rundeten die bunte Märchenwelt als harmonisch aussingendes Trio ab. Der Chor wurde von Christopher Lichtenstein und Peter Pade ebenso stimmig und singfreudig einstudiert. Das Publikum spendete am Ende für alle Beteiligten regen Applaus.