„Tannhäuser“ in Magdeburg

Psychogramm und Kirchenkritik: Adele Thomas legt mit ihrem Wagner-Debüt am Theater Magdeburg eine gelungene und überzeugende Tannhäuser-Interpretation vor. Erik Nielsen am Pult der Magdeburger Philharmonie liefert die dazu perfekt passende, straffe und differenziert-vielschichtige musikalische Ausdeutung.

„Er sagt, er sei der Welt noch den Tannhäuser schuldig“, zitiert Ehefrau Cosima Wagner im Januar 1883 den Urheber des Werks zwei Monate vor seinem Tod. Eine Aussage mit gutem Grund: Nicht nur musikalisch längst dem Frühwerk entwachsen und mit neuen musikalischen Möglichkeiten ausgestattet, erkannte der versierte Dramatiker Wagner sehr wohl, wie schwierig es auch dramaturgisch um das Ende seines „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ bestellt war. Und ist: Denn am Ende kehrt als zentrales Motiv der plötzlich wunderhaft wieder grüne Blätter tragende Stab zurück, den der Papst in der Hand hielt, als er Tannhäuser die Absolution für seine Sünde im kirchlichen Sinne verwehrt. 

„Wie dieser Stab in meiner Hand nie mehr sich schmückt mit frischem Grün, kann aus der Hölle heißem Brand Erlösung nimmer dir erblühn!“, hatte der oberste katholische Kirchenvertreter dem bußfertigen Tannhäuser entgegengeschmettert. Im großen Chorfinale der jungen Pilger, bei dem diese den grünen Papst-Stab zurückbringen, gleichzeitig aber die nicht auf der Bühne gestorbene Elisabeth auf die Bühne getragen wird und Tannhäuser deswegen und auch wegen des Stabs erlöst zu Boden sinkt, stellt jede Regie vor eine große Herausforderung. Lässt sich an so vielen Stellen seines Schaffens Wagner so ungemein viel Zeit, wichtiges deutlich herauszustellen, findet der „Tannhäuser“ am Ende sehr schnell auch musikalisch abrupt (für den Graben zusätzliche Herausforderung) ein Ende. Was die Zuschauenden ohne große Werkskenntnis durchaus verwirrt zurücklässt. Da ändern auch diverse von Wagner selbst vorgenommene Fassungen nicht viel, – und so ist Richard Wagners Aussage absolut wichtig und richtig.

Die britische Regisseurin Adele Thomas hat sich nun des Werks in der häufig gespielten Dresdner Fassung angenommen. Sie hat sich der Herausforderung gestellt, die es mit dem Stab auf sich hat, und vor allem: Sie hat eine wunderbar nachvollziehbare Lösung dafür gefunden.

Schon zum Vorspiel des ersten Akts im durch graue Wände beengtem Bühnenbild von Cécile Trémolières, das ganz katholisch eine Mariennische mit aufgemaltem Heilskranz darüber zeigt, in dem erst die rein-keusche Elisabeth, dann die Venus in gleichem Marien-Kostüm steht, schreiten die Protagonisten des Werks wie in einer Fronleichnamsprozession über die Bühne. Tannhäuser, am rechten Bühnenrand als gemarterter Jesus sitzend, reicht Elisabeth den vertrockneten Stab. Und die reiht sich ein in die Prozession, die immer wieder im Kreise läuft. Es passiert immer wieder. Ein starkes Eingangsbild, das sich fortsetzt. Auch weil der Hirte (Elvire Beekhuizen mit jugendlich-klarer Ausdeutung der Hirtenarie) über die Akte hinweg Überbringer, Vermittler und zurückhaltender Initiator der Erlösung ist, die sich durch den grünenden Stab symbolisiert. So fordert der Hirte Tannhäuser schon zu Beginn auf, mitzuschreiten. Und zur Hirtenarie trägt er einen grünen Baum auf die Bühne, den er in den Bühnenboden einpflanzt. Und aus dem sich Tannhäuser nach seiner Rückkehr in die Wartburgwelt gleich einen Ast herausbricht, der in seinen Händen sofort die Blätter verliert. Im dritten Akt ist der Baum dann auch verdorrt und blätterlos. Die Regie übernimmt damit schön Wagner Kritik am Katholizismus.

© www.AndreasLander.de

Am Ende des Werks steigt Elisabeth, nachdem die jungen Pilger den grünen Stab auf die Bühne getragen haben, wieder von der Bahre. Sie setzt sich zu Tannhäuser am vorderen rechten Bühnenrand – es ist die Ausgangslage des ersten Akts, und damit ewige Wiederkehr des Gleichen. Und so scheint Tannhäuser wirklich erlöst. Gemessen am Beifall vermögen die Zuschauenden diese Lesart sehr gut nachzuvollziehen. Die vereinzelten Buhs für die Regie wirken hier mehr als ritualisierter Ablehnungsreflex.

James J. Kee singt und spielt dabei einen Tannhäuser von beeindruckender Bühnenpräsenz, der innerlich wie äußerlich leidend zwischen den beiden Welten der Venus und Elisabeths hin- und hergerissen ist. Mit freiem Oberkörper, blutig zerschlissen und weniger als halber Rüstung über der Schulter ist er ganz christlicher, erlösungssuchender Jesus. Sich Wort für Wort textverständlich in die anfängliche Venusszene tastend, die dadurch musikalisch den Fluss verliert, steigert er sich mächtig und ausdruckstark mit dunkler Färbung seines sicheren Tenors in die Rom-Erzählung des dritten Aktes, die dadurch überaus packend gelingt. Die Elisabeth von Aurora Marthens sorgt für den musikalischen Höhepunkt des Premierentags mit einer jugendlich-zarten, fluiden und nuancierten Interpretation der „Hallen-Arie“ zu Beginn des zweiten Akts. Die tradiert-erstarrte Welt der Wartburg in betont überzogen-albern dargestellten, kitschig-bunten Kostümen, die auch die stereotype Vergangenheit der Rezeptionsgeschichte mit statischem Rampentheater persifliert, muss Tannhäuser nachvollziehbar ausbrechen.

© www.AndreasLander.de

Obwohl er aus der zuvor aus der ebenso überzeichneten Venuswelt floh, in der die Sirenen getanzt gender-fluide Geierwesen waren, die in übersteigert-stummen Schreien wie in Edvard Munchs „Schrei-Gemälden“ die höllische Sexualität darzustellen versuchen. Ein interessanter Regieeinfall, der aber durch die permanent sich wiederholenden Gestiken und Gebärden über die gesamte Venusszene hinweg etwas ermüdend wirkt. Hier wäre etwas weniger mehr gewesen.

Im zweiten Akt brechen die Fratzen der Venus-Geier in mimisch guter Darstellung während des „Sängerkriegs“ aus Tannhäuser heraus, und er fasst sich in die Hose. In verzweifelter Erinnerung wirkt er krank und paranoid, fast schizophren. Ein Skandal für die fromme Wartburgwelt. So plastisch und toll dargestellt die „Sünde“ Tannhäusers auch ist: Die Venuswelt erscheint in dieser Regiedeutung damit sehr bösartig, abgrundtief und stellt sie damit ebenso ablehnenswert dar wie es die reine, keusche Wartburgwelt tut. Inwieweit dies im Widerspruch mit der Werksintention steht, muss an anderer Stelle diskutiert werden. Denn Venus und Elisabeth können mit guten Grund auch als gleichberechtigte konträre Welten, die sich ergänzen, betrachtet werden. Die Sexualität als so deutlich böse darzustellen, erscheint dann doch etwas weltfremd und übertrieben.

James J. Kee (Tannhäuser), Jadwiga Postrożna (Venus), © www.AndreasLander.de

Der Chor unter Einstudierung von Martin Wagner punktet mit hoher harmonischer Plastizität, der passend zur eher schlanken musikalischen Interpretation im Graben nicht zu ausdrucksstark aussingt. In manchen Passagen des zweiten Akts offenbaren sich Abstimmungsproblem zwischen Chor und Orchester. Jadwiga Postrożnas Venus mit unzähligen Brüsten an ihrem Körper kann mit etwas flächiger, eindimensionaler Intonation an diesem Abend nicht vollends überzeugen. Der Wolfram wird von Marko Pantelić mit lyrisch-feiner, schön gestaltender Ausdeutung gegeben. Seine Arie an den Abendstern gerät dabei eine Spur zu fein, aber präzise und rein. Der Landgraf von Johannes Stermann überzeugt mit runder Intonation und guter Ausdruckskraft.

Auf sich aufmerksam macht Erik Nielsen mit einem ebenso aufmerksamen wie rücksichtsvollem, aber stringenten und straffen Dirigat, das auf die ganz großen Ausbrüche verzichtet, dabei aber vielschichtig-differenziert die Einzelheiten der Partitur betont, ohne die Spannungsbögen zu vernachlässigen. Von besonderer Dichte gerät das Vorspiel zum dritten Akt.

Weitere Vorstellungen am 27.09., 5.10., 19.10., 16.11., 13.12., 4.1..