„Tosca“ an der Staatsoper Berlin

Hochdramatisch und doch erfrischend angenehm reduziert – mit einem lauten Knall zum Schluss wird das Publikum noch einmal durch den tödlichen Schuss auf Cavaradossi hochgeschreckt. Die Inszenierung von Alvis Hermanis an der Staatsoper Unter den Linden Berlin schafft es auch im zehnten Jahr nach ihrer Premiere, einen Spannungsbogen aufzubauen und diesen kontinuierlich hochzuhalten. Denn alle drei Akte sind gleichermaßen interessant aufgebaut und fesseln die Zuschauer.

Die historischen Hintergründe werden nicht in den Vordergrund gezerrt. Zwar bieten sie den Rahmen der zu erzählenden Geschichte, werden jedoch nicht exemplarisch nacherzählt. Die Zuschauer sind gefordert, sich diese gesondert anzulesen, sie drängen sich nicht unmittelbar auf.

Das Bühnenbild (ebenfalls von Alvis Hermanis) ist einladend und abgerundet in seiner Gestaltung, ansprechend und abseits von Überfrachtung. Klar und strukturiert gibt es dadurch in allen drei Akten gute Orientierung. Es wird die Kulisse von Rom bzw. der Engelsburg projiziert. Zu Beginn erscheint ein Bild der Maria Magdalena – das Werk von Cavaradossi, dem Maler, zur Altargestaltung. Die Lichtdramaturgie (Gleb Filshtinsky) ist in Gänze gelungen. Es wird anschaulich dargestellt, dass sich das Drama über einen Tag bis zum Beginn des folgenden Tages erstreckt. Die Kirche bis zur Dämmerung und sodann das Morgengrauen werden abgebildet. Ort des Geschehens ist Rom im Juni 1800 zur Zeit der Schlacht bei Marengo zwischen Napoleon und Österreich um die Vorherrschaft in Italien.

Im ersten Akt erfährt der Zuschauer die Zusammenhänge und Beziehungen zwischen den Beteiligten. Verstrickungen und Intrigen entwickeln sich und spitzen sich zu – man ahnt nichts Gutes. Die Leitmotive Eifersucht, Herrschaft und Macht sowie Sieg und Wollust spielen tragende Rollen.

Der liegengelassene Fächer der Schwester Angelottis in der Kapelle ist tragendes Symbol zur Entfachung der Eifersucht Toscas (Lise Davidsen). Sie vermutet, Cavaradossi betrüge sie. Hier wird die Tragik der Situation dem Zuschauenden bewusst. Freddie De Tommaso singt den Cavardossi als Tenor mit großer Emotion, sei es, als er seine Liebe zu Tosca zum Ausdruck bringt oder seine politischen Ideale besingt. Er versteckt den entflohenen politischen Gefangenen Angelotti (Arttu Kataja) vor dem Baron und Polizeichef Scarpia (Gerald Finley).

Scarpia nimmt nun seine Rolle als Strippenzieher ein und plant die Instrumentalisierung der Tosca für seine Zwecke. Scarpia stellt sein Innerstes zur Schau. Der Bassbariton grollt und donnert unschlagbar gut. Er legt seinen nihilistischen Blick auf die Welt dar. Tosca ist nur ein Objekt seiner Begierde. 

Im zweiten Akt werden Sadismus durch die Folter Cavaradossis, der das Versteck von Angelotti nicht preisgeben will, und Unterwerfung die wesentlichen Motive. Tosca kann die Folter von Cavaradossi nicht mehr ertragen und verrät Angelotti, der nun sterben muss. Final kommt es aber zur Selbstermächtigung – Tosca verpasst Scarpia den tödlichen Stich. Vermeintlich wendet sich alles zu ihrem Guten.

Eine gelungene Inszenierung: Lise Davidsen zieht das Publikum mit ihrer atemraubenden Stimme in den Bann, mehrfach gibt es Zwischenapplaus. Die Rolle der Tosca füllt sie voll aus – temperamentvoll, emanzipiert und sogar ironisch zu Beginn, als sie versucht, Caravadossis Heimlichtuereien aufzudecken. Der tiefgehende Gesang von Lise Davidsen ist in jedem Moment ergreifend.

Erst im dritten Akt wird der Betrug Scarpias aufgelöst – Tosca wurde betrogen, jede Hoffnung auf Rettung erlischt, die abgesprochene Scheinhinrichtung ihres Liebsten Caravadossi durch die Soldaten erweist sich als „echt“, Tosca stürzt sich von der Engelsburg in den Tod. Das tragische Ende ist unumgänglich.

Die Musik ist dramatisch und unterstreicht jede Böswilligkeit in der Ausführung der Macht des Baron Scarpia. Zubin Mehta dirigiert das Orchester meisterhaft.

Überzeugend ebenso der Staatsopernchor sowie der Kinderchor der Staatsoper unter den Linden (Einstudierung Dani Juris) mit dem Knabensolisten Hugo Kern (Ein Hirte). Beeindruckend sind der Einzug und Auftritt des Chores.

Insgesamt wirkt die Inszenierung stringent und mitreißend. Man ist kontinuierlich gewillt, dem Geschehen zu folgen und macht sich währenddessen Gedanken, wie es wohl weitergeht. Die Staatsoper unter den Linden ist voll besetzt. Standing Ovations, Zuspruch und Begeisterung sind die authentischen Reaktionen des Publikums. Es gibt zurecht tosenden Applaus, obgleich es sich nicht um eine Premiere handelt. Im Foyer trifft man nach Ende des Stücks auf Besucher, die sich angeregt über das soeben Erlebte unterhalten.

Fotos: Hermann und Clärchen Baus