„Rosenkavalier“ in Hannover

Mit Strauß, Charme, aber ohne Melone: Christian Stückl präsentiert für die Staatsoper Hannover einen neuen „Rosenkavalier“, der filmreif und farbig seine lustige Geschichte erzählt und damit sehr beim Publikum ankommt. Stephan Zilias am Pult entdeckt die Partitur mit schlankem, transparenten Klang aufregend neu.

Tiefschürfend zwischen den Zeilen, dabei an der Oberfläche mit seiner scheinbaren Walzerglückseligkeit doppelbödig und anzüglich ist der „Rosenkavalier“ auch ein Stück über das Altwerden und den Generationenkonflikt.

Dies zeigt auch Christian Stückl: Zu Beginn des zweiten Akts steigt Sophie wie einst Romy Schneider aus dem Swimmingpool, um dann im gestreiften Bademantel ihren künftigen Ehemann Ochs zu erwarten, der sich – schön als alternder Bajuware im braunen Leder-Sakko mit schütterem Haar ausstaffiert – das junge Mädchen schon vor dem ersten Treffen per Ehevertrag gesichert und erkauft hat. Den gestreiften Bademantel hatte zuvor nach durchlebter Liebesnacht mit dem 17jährigen Octavian auch schon die Feldmarschallin getragen. Soll meinen: die Geschichte wiederholt sich – und auch Sophie droht das gleiche Schicksal einer erzwungenen Heirat aus Geldgründen. Die Feldmarschallin hat sich damit so arrangiert, dass sie sich bei Abwesenheit ihres Mannes mit jungen Männern vergnügt.

Das scheint sich rumgesprochen zu haben, denn ziemlich eindeutig steigt ihr der italienische Sänger (Marco Lee gibt die Italienità-Arie schön strömend und schmelzig) bis ins Schlafzimmer nach.

Die Feldmarschallin ganz im Look einer Marlene Dietrich, die gleichsam auch ein etwas ältere Marylin Monroe sein könnte, wird von Kiandra Howarth sicher, warm, aber mit einem Hang zu indifferenter Intonation passabel gegeben.

© Sandra Then
Kiandra Howarth (Feldmarschallin, links), Anne Marie Stanley (Octavian), © Sandra Then

Die Ambivalenz der Charaktere und Geschlechter, die ja auch schon in der Anlage des Octavians als weibliche Hosenrolle begründet ist, setzt sich mit diesem fort: Der Octavian von Anne Marie Stanley mit angeklebtem, langen Moustache-Bart ganz in schwarz und mit riesigem Rosenstrauß ist gleichsam Hommage an Charlie Chaplins Auftritt in „Lichter der Großstadt“. Leider vermag Stanley an diesem Abend mit sehr unverständlicher Diktion und füllig-flächiger Intonation kaum, die Hauptrolle zum Tragen und Schwingen zu bringen.

Im Bühnenbild von Stephan Hageneier, das in hellem Rot, Blau gestreift irgendwie als Ikea-Einheits-Interieur verortet werden könnte, entspinnt Stückl ein heiteres Spiel zwischen den alternden Protagonisten Ochs und Marschallin, die nicht von der Jugend lassen wollen. Die Marschallin begreift es am Ende, während der Ochs bis zuletzt und erst durch das Intrigenspiel im dritten Akt von der Heirat mit Sophie abgebracht werden kann.

© Sandra Then
© Sandra Then

Martin Summer singt und spielt den Baron Ochs auf Lerchenau mit passabler Tiefe, dabei runder Intonation, die noch etwas mehr an Schärfe verdient hätte. Sehr zu überzeugen versteht Meredith Wohlgemuth als Sophie, die mit strömend-flutenden Sopran und passioniertem Spiel die Handlung und Geschichte zum Tragen bringt. Auch der Faninal von Frank Schneiders vermag mit deutlichem, ausdruckstarkem Bariton zu punkten.

Franziska Giesemann bringt als Leitmetzerin einen tragenden, ausdruckstarken Sopran mit in die Partie ein, während Monika Walerowicz und Philipp Kapeller ein schön ausgespieltes, schmieriges Intriganten-Vermittlerpaar Annina – Valzacchi geben.

© Sandra Then
Meredith Wohlgemuth (Sophie, rechts), Anne Marie Stanley (Octavian), © Sandra Then

Die Entdeckung des Abends spielt sich aber im Graben der Staatsoper ab: GMD Stephan Zilias führt das Niedersächsische Staatsorchester Hannover viril, transparent und mit schlanken Klang durch die Partitur. Es flirrt, spricht, raunt und wispert in selten gehörter Weise in allen motivischen Facetten. In diesem Zusammenhang wirkt vor allem das Vorspiel zum dritten Akt in seiner eigentlich Strauss-typischen Klangsprache der „sinfonischen Dichtung“ viel eingefügter in den Gesamtzusammenhang der Musik als es sonst allzuoft in schwelgend ausgespielter, flächiger Walzerglückseligkeit der Fall ist. Vor allem aber wirken die Walzer-Einschübe und Melodien gerade in dieser Interpretation besonders in ihrer eigentlichen Funktion einer karikierenden, augenzwinkernden Doppelbödigkeit umso eindrücklicher. Eine wunderbare Ausdeutung!

Auf der Habenseite der Regie kann verbucht werden, dass es gelang, das Publikum mit nachvollziehbarer Personenführung die „Komödie für Musik“ zu vermitteln. Viel Gelächter während der Aufführung und einiger Schlussapplaus für alle Beteiligten zeugten davon.