„Das Paradies und die Peri“ in Hamburg

Durch drei Krisen musst du gehen: Tobias Kratzer zeigt in seiner Eröffnungsinszenierung an der Hamburgischen Staatsoper Robert Schumanns engelsgleiche Peri in höchst engagierter Mission auf dem Weg ins Paradies.

Alte Geschichten als gegenwärtig erfahrbar machen, das gelingt Tobias Kratzer doch immer wieder eindrucksvoll. Selbst aus der etwas sentimentalen Geschichte von der engelsgleichen Peri, die zurück will ins Paradies, macht er durch seine Inszenierung an der Staatsoper Hamburg eine packende Parabel von Menschen in der Krise und dem Mut, trotzdem an Idealen der Menschlichkeit festzuhalten.

Robert Schumanns weltliches Oratorium bekommt durch seine Hand eine Bühnenwirksamkeit, die es eigentlich nicht hat. Und hätte Kratzer nicht so einen sensationellen „Tannhäuser“ in Bayreuth und griffige Neuinterpretationen dreier Strauss-Opern in Berlin gerade hinter sich, dazu noch drei „Ring“-Teile in München vor sich, hätte er für die Eröffnung seiner Intendanz in Hamburg wohl auch nicht zu dieser romantischen Rührungsgeschichte gegriffen. Bei den Klassikern des 20. Jahrhundert hätte es dagegen noch Schätze zu heben gegeben.

Kratzer schafft in Rainer Sellmaiers reinweißer Ausstattung aus schlichter Wand und Fläche ein politisch aktuelles Triptychon, das aber eben auch genügend abstrakt zugespitzt wird, um die dem Stück innewohnende Auseinandersetzung mit menschlichen Wesenszügen auszudrücken.

Die drei Versuche der Peri, wieder im Himmel aufgenommen zu werden, übersetzt Kratzer gemäß den Trophäen, die sie dafür dem Portner vorzuweisen hat, sehr treffend als Heldendrama, als Liebesdrama und als Mitleidsstück. Was bei Schumann insofern dreistufig aufwärtsstrebt, sich auch musikalisch sublimierend, bringt Wagner in seiner Konzeption des Musikdramas gleichzeitig hervor, insofern seine Helden, nicht zuletzt im „Parsifal“, psychologisch stets hinterfragt und fragil sind, zugleich Liebende und Erlösende.

Im ersten Teil also bringt die Peri den Tropfen eines im Freiheitskampf gegen einen autoritären Herrscher gefallenen Helden. Kratzer setzt hier vorzüglich Massendynamik und gesellschaftlichen Konformismus in Szene. Und die Peri bekommt dabei nicht nur einen Blutstropfen des Helden ab, sondern steht am Ende im blutgetränkten Kleid da. Denn sie geht stets ganz rein in ihre Mission, empathisch also eigentlich schon hier.

Im zweiten Teil sieht Kratzer ein Abbild der Pandemie. Menschen, die nicht zueinander dürfen, auch ein Liebespaar wird getrennt. Während er im Quarantänezelt siecht, dringt seine Geliebte bei ihm ein. Sie will bei ihm sein, koste es auch das Leben. Und so kann die Peri hier den letzten Seufzer des Liebespaars, das umarmt auf dem Krankenbett stirbt, gewinnen.

© Monika Rittershaus
© Monika Rittershaus

Doch um den Himmel zu rühren, dazu reicht das alles nicht. Sellmaier lässt den Portner als Engel mit großen Schwingen vor barockem Gewölk einschweben. Eine eher volkstümlich-heitere Auffassung der Transzendenz. Kratzer ist besser im Konkreten: Im dritten Teil spielen Kinder unter einer Glaskuppel in einer Spielzeugwelt, die durch rauchende Schlote als gefährdet gekennzeichnet ist. Doch angesichts dieser Klimakrise muss selbst der Geschäftsmann weinen. Tränen der Reue, und das ist ja auch christlich gesehen (in diesem eigentlich orientalischen Plot) der einzige Weg zu Vergebung und Paradies.

© Monika Rittershaus

Wie aber soll das Paradies aussehen? Kratzer flüchtet sich da zurück in die protestantische Oratorientradition. Ein schwarzgewandeter Konzertchor nimmt die Peri als Mitsängerin wie bei einer Bach-Kantate auf, die ja für Manchen vollgültiger künstlerischer Ausdruck des Paradieses ist. Aber bloß keine heile Welt am Schluss, trotz aller musikalischen Harmonie: Die Peri scheint sich nicht wohlzufühlen in dieser Gruppe und stiehlt sich davon. Hmm, schon vorbei die Empathie? Muss man nicht auch mal zusammenstehen? Kann man aus dem Himmel fliehen? Dann war es keiner. Da übertreibt Kratzer das Prinzip der Vorbehalte.

Auch nicht gelungen sind die inszenierten Fake-Zuschauer, die Kratzer mit der Kamera aus dem Publikum herauszoomen lässt. Es sind ganz offenbar einstudierte Darsteller: Eine Frau, die im ersten Teil mit Buhs gegen die Blutschüttungen protestiert und den Saal verlässt; im zweiten Teil ein ruhig Schlafender neben seiner pikierten Frau mit Maske; und im dritten Teil ein älterer Mann, der sich offenbar wiedererkennt in dem Reuigen der Handlung und seinen Tränen freien Lauf lässt.

© Monika Rittershaus
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Solche Art von Publikumsinszenierung sollte Kratzer nicht nötig haben. Ihm wird von ganz Hamburg eine große Sympathie entgegengebracht, die er auch verdient. Da muss er nicht Publikum als intolerant, unausgeschlafen und rührselig vorführen. Zumal der Schlafende zur rührendsten Musik auch noch für Gelächter sorgt. Das musste Kratzer ahnen, warum also opfert er Empathie und Musik, die er doch zu verteidigen angetreten ist, hier den Lachern?

Felix Hornbachner am Pult lässt jedenfalls Schumanns weiche, durchaus antriebige, zuweilen zu volkstümlich hüpfende Musik in ihrer romantisch-idealischen Aura erklingen. Und Vera-Lotte Boecker ist eine so großartig spielende, dabei aber auch noch famos singende Peri, dass gar keine Zweifel an der Gegenwärtigkeit dieser Frau aufkommen. Ihr heller Sopran hat schöne Rundung, Ausdauer und füllige Höhe bis ins noch mal fordernde Finale.

Als Portner-Engel gibt Ivan Borodulin seinem Counter im Verlauf wachsende Kraft. Rollendeckend singen Tenor Lunga Eric Hallam, Sopranistin Eliza Boom und Mezzo Kady Evanyshyn, mit sattem Alt glänzt Annika Schlicht, und Christoph Pohl gibt mit spannend charakterisiertem Bariton den Diktator und den alten Mann. Der Opernchor überzeugt mit schön ausgeglichenem Klang.

Schuman wäre sicher überrascht, seine „Peri“ auf der Opernbühne zu sehen. Und noch mehr, dass sie nun doch wie ein Musikdrama gezeigt wird, ja Kratzer hat sogar drei Musikdramen daraus gemacht. Möge ihr Empathie-Appell in die Welt wirken.