„La fiamma“ in Berlin

Bürgerliches Psychodram aus dem alten Byzanz: Christof Loy inszeniert Ottorino Respighis übertriebene Opernhandlung von „La Fiamma“ an der Deutschen Oper Berlin als übertriebene Opernhandlung von „La Fiamma“ als wär‘s ein Film von Pasolini.

Das macht Christof Loy keiner nach: Bei ihm sieht auch eine Geschichte über Hexenverbrennungen in Ravenna im 7. Jahrhundert aus wie ein Stück von Ibsen, verfilmt von Pasolini. Keiner kann wie er die betrogene Lebenslust im kleinen Schwarzen barfuß zwischen Kerzenleuchter und Rotweinglas auf den Stufen drappieren, wie er es mit Silvana, der jungen Frau des alten Exarchen in Ottorino Respighis Monumentaloper “La Fiamma” an der Deutschen Oper Berlin tut. Das atmet Unbefriedigtheit und erotische Bereitschaft und erzählt in einem Bild, einer Haltung die ganze Leidensgeschichte einer Frau, die von der eigenen Mutter noch minderjährig mit dem Machthaber verkuppelt wurde und nicht einen Moment glücklich war in dieser Beziehung.

copyright: Monika Rittershaus
Olesya Golovneva (Silvana), Foto: Monika Rittershaus

Sofort entflammt sie für ihren heimkehrenden Stiefsohn Donello, junger, aber schon gestandener Knabe im lockigen Haar, der auch gleich mit der ersten Magd anbandelt und problemlos zur kaum älteren Stiefmutter wechselt. Eine Art Eros im Durchmarsch, der noch manch andere Blume pflücken wird und deshalb im finalen Showdown auch klar gesteht, dass sie nicht seine letzte Liebe ist.

Für Silvana ein Todesurteil, all ihre Liebeskraft ist nun gebrochen, und als sie beschwören muss, dass nicht die Flamme der Hexerei, sondern (nur) die der sündigen, weil ehebrecherischen Liebe in ihr lodere, versagt ihr die Stimme, ihr Leben ist zerstört. Vorhang, den Scheiterhaufen muss man nun nicht mehr zeigen.

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Natürlich trägt auch die Bühne von Herbert Murauer zum zeitgenössischen Eindruck der Inszenierung bei. Diese bühnenbreiten Treppen hoch zu einer Art Diorama, das mal Pflanzendickicht, mal den Lichtschein der Hexenverbrennung vom Anfang, mal aufziehende Wolken zeigt und bei Bedarf mit fahrenden Holzwänden verschlossen wird. Aber man ist in diesem Haus der Macht nie ganz intim, Loy hat immer ein paar Dienstboten ins Bild gestreut, lässt Security im Hintergrund lauern, als ginge es sie nichts an. Doch auch in diesem gediegenen Ambiente ist alles Aug’ und Ohr.

Zumal da noch die machtbewusste Mamma Eudossia ist, die in der letztlich richtigen Annahme, die junge Frau sei nichts für ihren reifen Sohn, alles dazu tut, dass sich diese Prophezeihung erfüllt. Womit sie erst recht das Unglück ihres Sohnes herbeiführt, der seine junge Frau auf seine Art wohl tatsächlich liebt und tot zusammenbricht, als diese ihm in finaler Selbstermächtigung die Wahrheit an den Kopf wirft und auch den Ehebruch mit Donello herausfordernd bekennt.

Es ist klasse, wie Loy diese Kammerspielatmosphäre in den viel zu großen Räumen der Macht durch prägnante Personenführung zu erzeugen vermag. Und seine Sängerinnen und Sänger agieren filmreif. Respighis Musik hat freilich nicht die Qualitäten einer harmonisch gewagten, intimen Feinzeichnung der Psychen, wie sie bei Wagner herrscht. Er bevorzugt die dicke Orchesterquaste, den Breitwandpinsel, auch mal großes Chortableau, die oft brachiale Lautstärke, da packt auch Dirigent Carlo Rizzi prächtig zu. Und wo er wirklich mal leiser wird, folgt er gern formalen Strukturen der Alten Musik, was alles sehr schön klingt, aber nicht wirklich den verwickelten Seelenlagen der Figuren auf den Grund geht.

So bekommt das Liebesduett, wenn Silvana Donello verführt, mit Harfe und zarten Streichern eine Unschuld, die es nicht hat, denn sie holt sich hier mit aller Lust für ihre Leidenschaft verbotene Früchte. Inhaltlich wären wir hier näher bei Tristan und Isolde als bei Romeo und Julia. Plastisch dann ihre fast hysterisch geführte Stimme, wenn sie mit ihrem Gatten abrechnet, erst dann wirft sich das Orchester zu einem dicken Pendelrhythmus auf, dem das tödlich getroffene Herz des Exarchen unter dissonanten Orchesterschlägen zum Opfer fällt.

Ivan Inverardi gestaltet die Rolle des liebenden Monsters mit kraftvollem Bariton voll rührender Schönheit. Georgy Vasiliev singt mit solidem Tenor den unbekümmerten Liebhaber Donello. Interessanter Martina Serafins Charakterzeichnung der bösen Großmutter Eudossia mit vielen abgründigen Tiefen in ihrem Sopran. Während gleich am Anfang Doris Soffel mit Glut die als Hexe verfolgte Agnese di Cervia gestaltet, das mahnende Beispiel für Silvanas spätere Probleme. Natürlich zeigt sie Loy nicht als Hexe, sondern als unangepasste Frau, deren Mut aber im Angesicht der aufgebrachten Massen schwindet.

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Georgy Vasiliev (Donello), Olesya Golovneva (Silvana), Foto: Monika Rittershaus

Silvana wird nachher unter ähnlicher Verfolgung die Massen zu gewinnen verstehen, nur als Donello nicht mehr zu ihr steht, hat alles keinen Sinn mehr. Sie spricht den Schwur nicht mehr zu Ende, bricht in Lachen aus: Nach einem ungeliebten Gatten und einem treulosen Liebhaber gibt sie sich dem Hexenschicksal hin. Olesya Golovneva ist eine zierlich-attraktive Rollenvertreterin, ausgestattet mit einem schier unermüdlichen, immer wieder dramatisch aufgehenden Sopran. Ihr Ton ist laut, etwas unfokussiert, aber von unbedingter Durchschlagskraft und brennt für ihre Sache in allen Lagen. Und dieses letzte Lachen geht durch Mark und Bein.

Dank Loys Regie kann man dem mittelalterlichen Stoff, den Respighi extra noch aus der Reformationszeit ins byzantinische Ravenna des 7. Jahrhunderts vorverlegt und so exotisiert, eine psychologisch-erotische Brisanz entnehmen. Im Rahmen der konsequenten Erforschung des frühen 20. Jahrhunderts an der Deutschen Oper Berlin bringt “La Fiamma” eine interessante Farbe ins Bild, eine Entdeckung für‘s Repertoire ist es freilich sicher nicht.