Szenen zweier Ehen: Tobias Kratzer zeigt eine „Frau ohne Schatten“ an der Deutschen Oper als Ehedrama zwischen Kinderwunsch, künstlicher Befruchtung, Leihmutterschaft und Scheidung. Donald Runnicles reizt die Partitur mit all seinen Facetten voll und farbig-nuanciert aus, ohne die Sänger*innen zuzudecken.
Eines muss man Tobias Kratzer lassen: Der Münchner Starregisseur versteht es immer wieder, eindrucksvolles Storytelling zu betreiben, das nun auch angesichts eines komplexen, wenn nicht verworrenen und überladenen Plots wie bei Richard Strauss‘ „Frau ohne Schatten“ ganz im Dienste des von Hugo von Hofmannsthal verfassten Stückes steht.
Zum Abschluss seines „Strauss-Zyklus“ an der Deutschen Oper geht das zwar nicht immer vollends überzeugend auf, ist aber mit Blick auf die Vermittlung des Stoffs mit einer Überfülle an Symbolik, Mythologisierungen und vor allem: jenen vom Komponisten selbst verwendeten Begriffs, dem „Musizierpanzer“ durch das riesig besetzte Orchester adäquates Mittel, eine ansprechende Interpretation auf die Beine zu stellen.
Rainer Sellmaier hat dafür eine zentrale bespielbare Drehscheibe auf die Bühne gestellt, die in der Mitte durch eine Wand getrennt die Wohnfläche darstellen für die zwei Ehepaare der gut situierten Kaiserin und Kaiser sowie dem Färber Barak mit seiner Frau, die hier eine Wäscherei betreiben und zusammen mit Baraks drei Brüdern (Philipp Jekal, Padraic Rowan, Thomas Cilluffo als plastisch aussingendes Unterschichten-Trio) dem Prekariat angehören.
Es ist die klassische Ehe zwischen Mann und Frau, die Kratzer ins Zentrum seiner Ausdeutung gestellt hat. Eine Frau ohne Schatten ist dabei diejenige, die noch keine Kinder bekommen hat. Das ist auch schon bei Strauss durchaus so angelegt als Allegorie auf das traditionelle Familienbild. Der Kaiserin geht das so, sie ist kinderlos. Gleich zu Beginn liefert der Geisterbote die Amazon-Pakete mit der Ausstattung für‘s Kinderzimmer. Patrick Guetti singt das mit wunderbar strömendem, präzise und warm gestaltenden Bass.
Zusammen mit der gestrengen Amme macht sich die Kaiserin auf die Suche nach einer geeigneten Leihmutter. In der Wäscherei Baraks ist seine Frau unzufrieden mit sich und der Welt. Sie brät Fischstäbchen (gut gelöst so die abstruse Werkidee von den Stimmen der ungeborenen Kinder, die aus der Pfanne heraus singen) und schaut Werbefernsehen von der Fertility-Company („We can help“), die Kinderwünsche erfüllen will. Immer wieder flackern die Videos von künstlichen Befruchtungen von Eizellen über den Hintergrund.
Catherine Foster singt und gestaltet die Partie von Baraks Frau klug disponierend und von authentischer Aufrichtigkeit. Zunächst verweigert sie sich einer künstlichen Befruchtung. Das ändert sich schnell durch kleine Luxuspräsente von Amme und Kaiserin. Schließlich unterzieht sie sich doch dem Eingriff. Was missglückt, denn sie erleidet eine Fehlgeburt. Stimmlich sorgt sie im Duett mit ihrem Mann Barak im dritten Akt für einen gesanglichen Höhepunkt des Abends mit strahlend-strömender Intonation. Jordan Shanahan als Barak punktet den ganzen Premierenabend über mit nuanciert-präzisem, weich-timbrierten, aber toll verständlichen Tenor.
Clay Hilley als Kaiser, der eingangs noch mit etwas zu ausdruckstarker Stimme etwas forciert hatte, überzeugt zu Beginn des zweiten Akts mit strömend-formschönen Tenor. Als entscheidende Szene dieser Ehe entpuppt sich hier die Hausparty, bei der er zunächst mit einer jüngeren Frau anzubandeln versucht, um dann nach kurzem Flirt in einem Club doch sturzbetrunken wieder zu seiner Frau ins Bett zu steigen. Wunderbar passend flirrt dazu aus dem Graben das Motiv des Falken. Schließlich ist Strauss‘ Oper ja auch eine Hymne an die Liebe. Und so finden sich die beiden am Ende der Oper als Ehepaar liebend auf der Küchenzeile wieder vereint.
Aber so ganz vertraut Kratzer dem trauten Idyll nicht: Barak und seine Frau versuchen es noch mit einer Paarberatung, finden sich am Ende aber vor dem Scheidungsnotar wieder. Eine völlige Entzauberung der Märchenwelt wie im Programmheft angekündigt ist dies nicht, aber dennoch tut ein bisschen Brechung dem Stück immer wieder mal gut.
Marina Prudenskaya gibt die Amme als gestreng-biedere Strippenzieherin. Ihr Mezzo ist sehr gut verständlich, ausdrucksstark, aber neigt an diesem Premierenabend doch etwas zu indifferentem Wechsel in die tiefen Lagen. Am Ende bricht auch bei ihr der plötzliche Kinderwunsch hervor: In der Kinderklinik, wo auch gleichgeschlechtliche Paare ihre bestellten Kinder abholen, versucht sie einen Säugling zu stehlen. Ganz im Sinne des strahlend auskomponierten C-Dur-Finales zeigt Kratzer abschließend eine Kita mit vielen Kinderstatisten.
Daniela Köhler gibt die Kaiserin mit jugendlicher Frische in großer, aber lyrischer Ausdeutung ihres tiefgründigen Soprans. Nuanciert, formschön und von hoher Spielfreude packt sie zum melancholischen Geigensolo im dritten Akt die Baby-Geschenke zur Geburts-Party aus.
Die Chöre unter Einstudierung von Jeremy Bines sind nicht zu sehen, verstehen sich aber stimmlich prägnant und präzise bemerkbar zu machen. Überhaupt ist die „Frau ohne Schatten“ ja insgesamt so groß angelegt, dass es immer darauf ankommt, die Sänger*innen nicht zu übertünchen. Und das gelingt Donald Runnicles am Pult des Orchesters der Deutschen Oper auf der ganzen Linie: In den Zwischenspielen mit groß-kontrolliertem Ausbruch, in den Dialogszenen zurückhaltend, in den Übergängen und vertrackten Rthythmuswechseln behände und präzise gelingt ein Spiel von hoher Suggestion und mit einer packenden Spannung über alle Akte hinweg.
Jubel beim Premierenpublikum mit einigen Buhs, die wenig gerechtfertigt erscheinen.