„Die Zauberflöte“ in Halle

Endstation virtuelle Realität? Bühnen-Halle-Intendant Walter Sutcliffe zeigt eine klug-durchdachte „Zauberflöte“, die die große Frage nach der Weisheit und Aufklärung stellt und dabei genußvoll mit Stereotypen spielt. Fabrice Bollon am Pult der Staatskapelle liefert dazu die passende luftig-atmende und pulsierende Musik.

Am Anfang steht das Wort. Dorota Karolczak hat für die Neuproduktion der „Zauberflöte“ an der Oper Halle ein riesiges Buch auf die Bühne gebracht, das als zentrale Drehscheibe mal auf, mal zugeklappt Tamino, Papageno und die anderen Akteure auswirft. Es ist die „Weisheitslehre“, das auf seinen Seiten das wissende Freimaurer-Auge inmitten des Dreiecks zeigt. Denn Mozarts Werk lässt sich nun mal nicht nur auf Kindermärchenoper reduzieren, sondern ist auch tiefgründiges Freimaurerstück. Spätestens wenn Tamino „Die Weisheitslehre dieser Knaben sei ewig mir ins Herz gegraben“ singt, dann ist der rote Faden vorgegeben.

Es ist ein roter Faden, der die Frage nach Wissen und Weisheit aufwirft, entwickelt und fortspinnt. Zu Beginn haben eine Amazone, Ritterin und Legionärin die Schlange erlegt, und Antiheld Tamino fällt in Ohnmacht. Die drei Damen (Anke Berndt, Yulia Skolik und Lena Herrmann als schön harmonierendes Trio) braten sich am Feuer die erlegte Beute.

Lena Herrmann, Yulia Sokolik, Anke Berndt © Anna Kolata
Lena Herrmann, Yulia Sokolik, Anke Berndt © Anna Kolata

Ein Drache ist auch ein Vogel, und so kann Papageno als bunt kostümierter amerikanischer Ureinwohner mit Irokesenfedern auf dem Kopf seine berühmte Arie anstimmen. Das ist ganz bewusst auch ein Spiel mit der kulturellen Aneignung, die durch die überdeutliche, bisweilen groteske Darstellung und Überzeichnung aller Charaktere sehr trifft.

Lars Conrad spielt und singt die Rolle des Papageno wunderbar natürlich gestaltend. Mit warm strömenden, dunklen Timbre und klarem Ausdruck gerät das überaus überzeugend. Der Tamino von Chulhyun Kim vermag mit seinem hell klirrenden Tenor und mit bisweilen indifferenter Intonation da nicht heranreichen.    

Der Sarastro von Ki-Hyun Park könnte Adam Weishaupt, Gründer der Verschwörungsbewegung der Illuminaten höchstselbst sein. Mit seinem Auftritt beginnt die Dystopie: Mit warm-strömenden, sehr textverständlichen Bass setzt er Papageno und Tamino fest. Wissenszweifel war vorher auch schon da, denn im Buch findet sich nur die zigfache Wiederholung einer Phrase:„Die Weisheitslehre sagt, dass…“. Sarastro zerreißt das Buch.

Nach der Pause sind aus den Buchstaben Zahlen geworden. Die virtuelle Zeit der (Schein-)Wahrheiten ist angebrochen, und das nunmehr durchlöcherte Bühnenbuch speist sich aus Kabeln und wird durch ein Halogengerüst gestützt. Im Film „Matrix“ steht die Einnahme einer roten Pille für die Wahrheit, während die blaue Sorte vergessen lässt. Jener Film ist heute auch Fundament kruder Verschwörungstheoretiker, und so passt es wunderbar, wenn der Sarastro aus der KI-Welt seinen Leuten die rote Verschwörungspille angedeihen lässt. Tamino hat sich nicht entschieden, denn er trägt einen roten und einen blauen Schuh. Schlimm geht es für Monostatos (Robert Sellier mit kristallklarem, dunkel gefärbtem Tenor) aus: wie einst Michael Jackson versucht er sich mit weißer Farbe im Gesicht verzweifelt seiner dunklen Hautfarbe zu entledigen. Die Sarastro-Clique tritt ihn dennoch brutal zusammen.

© Anna Kolata
© Anna Kolata

Die virtuelle Welt der Zauberflöte dreht sich immer schneller, ohne Handys und KI-Brillen geht nichts mehr, und Tamino taucht mit Pamina (Franziska Krötenheerdt mit glutvoll-flutenden Sopran) völlig ab in die artifizielle Cloud-Kunstwelt im Netz. Papageno kann sich über’s Handy in der Wisch-Tinder-Welt seine geklonte Girlie-Papagena (Rebecca Ibe mit ausdrucksstarkem, stimmschönen Sopran) aussuchen. Genüsslich-augenzwinkernd und charmant zeigt die Inszenierung jetzt die Abgründe der schönen neuen Netzwelt.

Lediglich die drei Knaben (Philine Götz, Linda Rabisch, Maya Hatoum) halten dagegen und versuchen, den Handelnden die Smartphones zu entreißen. Echt oder Fake? Ist das Virtuelle Realität? Am Ende jedenfalls halten die drei vor dem Vorhang die Zauberflöte als Hoffnungsschimmer die Zauberflöte hoch. Es lebe die Kunst.

Die Chöre unter Einstudierung von Frank Flade punkten durch klangmächtige, harmonische Kompaktheit, während die Staatskapelle seinem GMD aufmerksam, viril und schön deutlich und prägnant ausspielend zu folgen versteht.

Die Entdeckung des Premierenabends ist aber Vanessa Waldhart als Königin der Nacht, die mit fein lyrischer Ausdeutung so gar nicht den Racheengel gibt, sondern mit nuanciert und absolut präzise ausgekosteten Koloraturen und sphärischer Intonation aufhorchen ließ. Eine tolle Darbietung!

v. l. Vanessa Waldhart, Franziska Krötenheerdt © Anna Kolata
v. l. Vanessa Waldhart, Franziska Krötenheerdt © Anna Kolata

Am Ende viel Applaus für alle Beteiligten.