Das Totenschiff. Tristan und Isolde ersticken in der Bayreuther Neuinszenierung von Thorleifur Örn Arnarsson in einem Schiffsbauch voller Fundusstücken an ihrem Erinnerungsballast.
Vielleicht haben sie sich auch nur ins Theater verirrt. Die Seile des Gespensterschiffs hängen auf die Bühne herab, das Deck hat einen tüchtigen Krater, als sei da der Mastkorb eingeschlagen, und während Isolde und Brangäne sich die Vorgeschichte rekapitulieren, memorieren hinten die Helden von einst ihren Text.
Isolde beschreibt dabei ihr Kleid aus Papier mit Texten. Es ist weit um sie drappiert wie einst das weiße Hochzeitskleid um die Isolde in Jean-Pierre Ponnelles Bayreuther Inszenierung, ein Zeichen der Unnahbarkeit.
Nur wenn die Mannen aus der realen Welt ihre kurzen Choreinsätze gaben, glühen die Scheinwerfer auf, ansonsten sind die Protagonisten in Thorleifur Örn Arnarssons Neuinszenierung von “Tristan und Isolde” bei den Bayreuther Festspielen ganz in ihre Erinnerungen und dichten Nebel versunken, der wie die schäumende Gischt übers Deck wabert. Was die beiden Titelfiguren hier aufzuarbeiten haben, bleibt ebenso nebulös. Eine nie realisierte Beziehung oder eine gescheiterte? Ein bisschen wirken sie auch wie Phantome der Oper, die zur Geisterstunde noch einmal auf die kaputten Bretter, die ihre Welt bedeuteten, zurückkehren. Untote wie der Fliegende Holländer, dessen Inszenierungsreste sie nun weiterbespielen.
Tatsächlich haben sie sich im zweiten Akt in den Schiffsrumpf zurückgezogen, der angefüllt ist mit allerlei ausrangiertem nautischen Material wie in mancher Fischerstube, aber auch mit Relikten der Kulturtradition wie Herrscherbüsten, Karyatiden, Gemälden à la Caspar David Friedrich und anderem Zierrat. Vytautas Narbutas’ detailreiches Bühnenbild sieht aus wie ein Blick in den Fundus eines Stadttheaters, Ausstattungsstücke, die längst nicht mehr gebraucht werden, voller Erinnerungen für die Protagonisten von einst.
Und das sind Tristan und Isolde, ein romantisches Paar, das nie recht zusammenfand und auch jetzt wieder ausgebremst wird von den Erinnerungen der Vergangenheit. Sie sind hineingeflohen in dieses Bühnenbild ihrer stolzen Vergangenheit, aus dem sie der handgreifliche Melot später vertreiben wird. Tristan ist jetzt schon reif für den Todestrank, vergiftet sich, statt sich in Melots Schwert zu stürzen wie bei Wagner. Isolde ist dafür erst am Ende des dritten Akts reif.
Das Schiff ist nun gänzlich zerlegt. Tristan siecht am Gift dahin auf einem Haufen Erinnerungsstücken, sieht bald selbst aus wie ein Fundusteil. Das Bild erstarrt mehr und mehr. “Tod denn alles”, die Theaterszene wird zur Installation, zum Gemälde fixiert. Der Hirt mit langen weißen Ärmeln streift wie ein Engel der Geschichte durch die verbliebenen Versatzstücke. Isolde kehrt mit der Rückwand des Schiffes zurück, als bewegten sich die einstigen Kulissen von Gespensterhand und kommunizierten miteinander. Auch sie nimmt nun das Gift, der Liebestod ist so, wie bei Wagner genannt, wieder Verklärung. Diven sterben nicht. Des Holländers letzte Fahrt hat sich erfüllt. Das Schiff der Lebensreise wird Totenschiff.
So weit, so poetisch, wenn man sich auf so eine Kulissenfahrt in die Theatergeschichte einlassen will. Arnarssons Inszenierung ist ein sinnbildlich zugerümpeltes Ausstattungsstück, Traum, Ahnung, Erinnerung, aber die Psychologie der Figuren, die uns diesen Eskapismus für heute erklären würde, inszeniert er nicht mit. Tristan und Isolde stehen inmitten ihres Erinnerungsspeichers und singen wie eh und je, statt mit und für uns zu entdecken, was zumindest gewisse Einzelstücke darin für eine Bedeutung für sie hatten. Woher die rauschhafte Sublimation, die kulturüberspannte Verdrückung rührten. Insofern steckt in dieser Fundusfantasie auch viel Behauptung, die nicht eingelöst wird.
Während die Vorgängerinszenierung von Roland Schwab, die sträflich wenig gezeigt und nach zwei Jahren aus dem Spielplan genommen wurde, den Blick ins Kosmische weitete, fühlt man sich hier in eine Kajüte gesperrt, eingeschlossen in einen Erinnerungsraum. Es gibt keine Reibung und merkwürdigerweise auch keine Rührung. Auch da konnte Schwab, der das Stück aktweise eine Generation weiterdrehte, mit dem alten Paar, das am Ende aufeinanderzu ging, mehr punkten. Arnarsson lässt sich keine dringliche Aussage entnehmen.
Dazu passt das eher elegante Dirigat von Semyon Byshkov. Besonders weich und sanft fließend entwickelt er dieses Schmerzensstück. Der Tristan-Akkord, der sich einem doch so sehrend in die Seele schneiden müsste, ist eher sehnsuchtsvoll-milder Anklang inmitten difffuser Erinnerung denn ein verzweifelter Aufschrei. Anfangs lässt er das treffliche Festspielorchester auch noch sehr gedämpft aus dem Abgrund klingen, wird die Dynamik vor allen ins Piano, aber nicht auch ins Heftige getrieben. Das ändert sich im zweiten Akt, wo er die Liebeswogen schon deutlicher aufwallen lässt. Insgesamt bevorzugt er den organischen Erinnerungsfluss, weniger die Exaltation und schroffe Stimmungswechsel.
Der noch immer lyrisch schönen Stimme von Camilla Nylund kommt das sehr entgegen, sie bewahrt sich vor der zerstörerischen Kraft der Hochdramatischen und vermag ihre Partie farbenreich zu gestalten. Man nimmt ihr die Erinnerungsarbeit ab, die szenisch leider nur bebildert statt gespielt wird. Ihr Liebestod hat fast noch jugendlichen Liebreiz, beschreibt sie doch den friedlich entschlafenen Geliebten.
Andreas Schager ist schon eher der dynamisch auftrumpfende Held, ein Tenor von großer Frische und Durchschlagskraft, dessen Reserven auch sicher reichen würden bis ans letzte Ende der Mammutpartie, wenn er nicht manchmal so quasi übermütig über die Stränge schlagen würde. Da schleudert er dann so übertrieben rausgepowerte Töne in den Raum, strahlend schön, aber eben doch zehrend, so dass er sich im dritten Akt doch singschauspielerisch über manchen brüchigen oder angeschliffenen Ton hinweghelfen muss. Eine starke Leistung bleibt es, aber sich besser einteilend wäre er grandios.
Nicht gut drauf ist am Premierentag der doch sonst so markante Günther Groissböck als König Marke, mit merkwürdig mulmiger Stimme verspielt er die Emotion der Figur. Sehr schön in sich ruht Christa Mayers Mezzo als Brangäne, bewahrt sich die dunkle Färbung auch in der problemlos gesungenen Höhe und ist von weicher Fülle in der Tiefe. Olafur Sigurdason singt den Kurwenal mit schon eher zu druckvollem Bassbariton, Birger Radde gibt markanten Ton als Melot, und Matthew Newlin singt mit schöner Lyrik den jungen Seemann. Aufhorchen lässt auch Daniel Jenz, der mit exzellenter Diktion und sehr direktem Tenor den engelshaften Hirten gibt.
Kann man musikalisch mit dem neuen “Tristan” also durchaus einverstanden sein, bleibt die szenische Deutung trotz des aufwendigen Bühnenbilds doch wenig anregend, schon gar nicht aufregend. Das ist eigentlich ein bisschen wenig für Bayreuth.