„Tannhäuser“ in Bayreuth

Anarchisten im Festspielhaus: Tobias Kratzers Inszenierung des “Tannhäuser” bei den Bayreuther Festspielen hat Theatergeschichte geschrieben und ist so frisch wie eh. Wiederaufnahme 2026 geplant.

Noch einen Sommer lang Revolution in Bayreuth. Tobias Kratzers aufrüttelnde Interpretation des “Tannhäuser”, die Wagners jungrevolutionären Impetus so überzeugend umsetzt, hat sich auch im Verlängerungsjahr ihre Frische bewahrt. Das bestätigt die Gültigkeit des Konzepts, zeugt aber auch von dem Teamgeist, den dieser Regisseur auch in wechselnder Besetzung entfachen kann. Nun ist offenbar noch eine Wiederaufnahme 2026 geplant.

Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Irene Roberts (Venus); Foto: Enrico Nawrath

Weiterhin ist das Quartett der Anarcho-Kunst aus Catsuit-Venus, Blechtrommel-Oskar, Drag-Queen und Tannhäuser-Clown im Van unterwegs, wirft schon am Festspielpark-Teich Flugblätter mit dem Wagner-Zitat “Frei im Wollen, frei im Thun, frei im Genießen” ab. Immer neue Details sorgen für Aktualität. Rührend, dass sie ein Schwarzweißfoto ihres Kumpels Stephen Gould aufgestellt haben, der die Tannhäuser-Partie die ersten Jahre prägte und im vergangenen Jahr verstarb. Pikant, dass am Hexenhaus-Rastplatz nun ein Plakat für “Claudias Kasperltheater: Hänsel und Gretel” hängt, das Stück in seiner Opernfassung von Humperdinck hatte die Kulturstaatsministerin eben dieses Vornamens als Bereicherung des Festspiel-Repertoires vorgeschlagen.

Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Irene Roberts (Venus), Manni Laudenbach (Oskar), Foto: Enrico Nawrath

Sehr genau zeichnet Kratzers Inszenierung die verschiedenen Wege dieses Anarcho-Quartetts nach. Als erster steigt Tannhäuser aus, nachdem Venus am Steuer beim Zechprellen im Burger-Drive-in voll auf den Wächter draufgehalten hat. Tannhäusers Schuld ist so nicht mehr erotisch motiviert, wie bei Wagner, aber um so mitvollziehbarer, so dass er sich von Venus trennen will.

Er landet direkt vorm Nachbau des Festspielhauses, das fromme Festspielpilger umlagern. Landgraf und Minnesänger im traditionellen Kostüm finden ihn hier in der Raucherpause und nehmen ihn wieder auf in ihre Festspielsänger-Crew. Beim Sängerkrieg brechen allerdings die alten ästhetischen Fronten wieder auf, Tannhäusers Liebeslust-Rock steht gegen die Sublimations-Weisen der anderen.

Irene Roberts (Venus), Manni Laudenbach (Oskar), Le Gateau Chocolat, Foto: Enrico Nawrath

Spannend wird Rainer Sellmaiers Nachbau einer traditionellen Wartburgsaal-Szene mit Manuel Brauns Video vom Eindringen der Anarchokumpels ins Festspielhaus gekontert. Auch sie landen dann auf der echten Bühne, wo grade der Sänngerstreit eskaliert. Am Ende nimmt die von der Festspielchefin herbeitelefonierte Polizei Tannhäuser fest, “nach Rom”, während die drei skurrilen Anarchisten davonkommen.

Irene Roberts (Venus), Manni Laudenbach (Oskar), Le Gateau Chocolat, Klaus Florian Vogt (Tannhäuser), Elisabeth Teige (Elisabeth), Günther Groissböck (Landgraf Hermann), Chor der Bayreuther Festspiele, Foto: Enrico Nawrath

Auch deren Wege trennen sich. Im dritten Akt ist Le Gateau Chocolat zum Plakat-Model für teure Uhren avanciert. Die gleichnamige Drag-Queen gibt der Rolle schrägen Sex-Appeal und überzeugt am Festspielteich mit basskräftigem “Ol’ Man River” und offensiver Publikumsanimation. Nur Venus bleibt wie die Erotik eine Aktivistin neuer Weltverhältnisse und klebt weiter Flugblätter. Irene Roberts übernimmt die Rolle mit geschmeidiger Körperlichkeit, lässt stimmlich allerdings allzu viel Vibrato hören.

Oskar haust nun allein im kaputten Van und füttert die herumirrende Elisabeth mit Dosensuppe aus der Blechtrommel, ein menschlich integrer Gestrandeter, der die Solidarität der Schwachen übt. Manni Laudenbach gibt ihn mit schöner Authentizität.

Elisabeth hatte ihre Jugendliebe Tannhäuser am Festspielhaus mit einer Ohrfeige empfangen, ihn beim Sängerkrieg mit Lust und Verve verteidigt, ist daher nun ausgeschlossen aus dem scheinheiligen Zirkel der Hochkultur. Als sie keine Hoffnung mehr auf Tannhäusers Rückkehr hat, gibt sie sich doch noch Wolfram hin – aber nur solange er Tannhäusers Clownskostüm trägt. Sein Lied an den Abendstern Venus klingt entsprechend bitter, obwohl Markus Eiche es mit balsamisch schönem Bariton singt, ergreifend. Elisabeth Teige spielt die lebensmüde Elisabeth mit großer Intensität. Stimmlich scheint ihr maniriert tremolierender Sopran aus einer anderen Epoche zu stammen. Das Publikum feiert sie.

Zuletzt kehrt Tannhäuser in diese Einöde zurück, lagert Elisabeth wie eine Pietà auf seinem Schoß. Klaus Florian Vogt ist noch mehr in diese Rolle hineingewachsen, sein unermüdlicher Tenor klingt kräftig und frisch, schön noch in der Sängerkriegswut und farbenreich in der Romerzählung. Dank seines hellen Timbres mischt sich gar etwas Träumerisches in seine Figur des traurigen Clowns, der die Welt zum Guten ändern wollte. Im Video sehen wir ihn am Schluss mit Elisabeth im Van on the road: privater Eskapismus statt Anarchie als der verpasste Weg? Die vier Revolutionärsbiografien in Kratzers Inszenierung spiegeln nicht zuletzt Wagners Wege.

Neben dem differenziert singenden Festspielchor ist Nathalie Stutzmann am Pult des Festspielorchesters Stütze des Abends, die sehr organisch entwickelt, so dass auch langsamere Passagen nicht bremsen, sondern zum Einfühlen einladen. Alle werden zu Recht bejubelt.

Dass ausgerechnet das Regieteam dieser an sich beim Publikum sehr nachgefragten Inszenierung ein paar notorische Buhs abbekommt, zeigt, dass die Inszenierung noch immer verstören kann. Sie hat längst über Bayreuth hinaus Theatergeschichte geschrieben. Sie im Jubiläumsjahr 2026 wieder ins Programm nehmen zu wollen, ist eine gute Entscheidung der Festspielleitung. Die Flagge der Revolution muss auch bei 150 Jahren Bayreuther Festspiele wehen!