Nürnberger Strandparty: Matthias Davids liefert in Bayreuth Wagners “Meistersinger von Nürnberg” dem Musikantenstadl aus.
Das letzte Bild knallt rein. Andrew D. Edwards macht Wagners Festwiese an der Pegnitz zur poppigen Strandparty. Da hängt eine aufgeblasene bunte Kuh rücklings über der Bühne, ein Strahlenkranz aus Glühlampen bildet die Sonne am Horizont einer Showtreppe wie 7m Musikantenstadl, und die Bevölkerung, teils in Tracht, teils in Jeans und Shirt mit roten Zipfelmützen, vereint sich zur grellen Fan-Meile, die Show-Choreos vortanzt. Das ist zu aufgeschminkt, um natürliche Fröhlichkeit zu sein, aber auch nicht so überzeichnet, dass man vorm Proll im Bürger Angst bekommen könnte. Und der Witz mit Merkel-Doubles, Raute und Gottschalk-Verschnitt ist längst abgedroschen.

Gefährlich wird es nicht mal während der nächtlichen Prügelei im Akt zuvor, wo wieder mal die Nachtmützen und nudelholzschwingende Weiber zitiert werden, aber wir bei Wagner erschrecken müssten über die allzu dünne Decke der vorher rituell beschworenen Zivilisation, die durch Randale ins Chaos rutscht.
Regisseur Matthias Davids will das alles nicht politisch sehen. Dabei unterschätzt er Wagner, der das Gesellschaftskritische und Selbstironische von den ersten Entwürfen an dieser Komödie eingeschrieben hat. Was Thomas Mann so treffend eingefangen hat in dem Satz: “ Wagners Kunst ist die sensationellste Selbstdarstellung und Selbstkritik deutschen Wesens”.
Bei Davids und Edwards und Ausstatterin Susanne Hubrich sind wir in einer Art Spielzeugland. Im ersten Akt mit schmaler Riesentreppe und einem aufgesetzten Kirchlein, die Meistersinger tagen ja nach dem Gottesdienst in der Kirche. Innen sieht das dann halb schon so aus wie im Festspielhaus, mit typischen Lampen und der Klappbestuhlung. Die Meistersinger legen hier die Mäntel und Kappen der Schlaraffia an, ein bierernst dem Humor verschriebener Männerbund, mit dem Wagner nie etwas zu tun hatte.

So dort wie hier humorlose Vereinsmeierei mit Statuten aus dem Tresor und menschelnden Ideen, wie dem ständig im Raucherkabuff verschwindenden Ulrich Eisslinger (Matthew Newlin) oder dem sich zum Büffet vorarbeitenden Balthasar Zorn (Daniel Jenz).
Wichtiger wäre es gewesen, patriarchale Zumutungen wie Pogners Idee zu hinterfragen, seine Tochter Eva als Preis für den nächsten Sangeswettbewerb auszuschreiben. Ein paar der Lehrmädchen nehmen immerhin mimisch empört dazu Stellung, aber diese ganze Pantomimerei von erwachsenen Chorsängern und -sängerinnen als Lehrbuben (und immerhin Lehrmädchen, die keine Buben mehr spielen müssen), sieht so peinlich altbacken aus. Warum dürfen sich diese Auszubildenden nicht bewegen wie eben junge Leute von heute?
Im zweiten Akt dann die übliche Rumschusterei und Prügelei vor einer Spielzeugfachwerkwand mit beweglichen Teilen und gelber Telefonzelle, die wie manchenorts heute als Buchleihe dient. Die Schusterstube im dritten Akt ist ein hüfthoch abgeschnittener Rundbau voller Werkzeug und einem Schuhhaufen in der Mitte, der zusammenfällt, als Beckmesser dort nach Frauenschuhen greift, lustig. Für die wichtigen querschießenden Gefühle im Dreieck Eva-Sachs-Stolzing keine Idee.

Auf der Strandparty wird dann eine nachgereicht. Die Sekundenbekehrung der Eva Pogner. Alle Akte hindurch hat sie gegenüber dem patriarchalen Missbrauch ihrer Person kein Bewusstsein oder gar Widerstand erkennen lassen, grinste noch lieblich aus dem Blumenbouquet, in das sie als Hauptgewinn des Sängerwettstreits gesteckt war. Reagierte auch nicht, als ihr erwählter Stolzing nach gewonnenem Contest die Meistersingerwürde ablehnt. Erst als Sachs ihn mit seiner mahnenden Ansprache für ein Traditionsbewusstsein gewonnen hat und ihm die Kette überreichen konnte, springt Eva plötzlich aus der Rolle, gibt dem Vater die Kette zurück und geht mit Stolzing stiften. Hat es auch in früheren Inszenierungen schon gegeben, aber nicht so unmotiviert. Schulterzucken bei Sachs und den anderen, fünf Stunden Oper irgendwie umsonst, denn das zentrale Anliegen konnte nicht mal Eva vermittelt werden.
Ihre Flucht ist ja eben privater Natur. Es ist nicht der von Wagner erstrebte Aufbruch zu einer demokratischen, selbstbestimmten, liebegeleiteten Gemeinschaft. Wagner dichtet uns eine Verbindung der revolutionären Kulturträger von einst, dieser Sachs, Luther, Dürer, Bach, ihm selbst, zur neuen Generation. Hier bleiben die Kleinmeister, inklusive Sachs und Beckmesser, die weiter über das Preislied streiten, unter sich, die Jugend zieht, leider unverständig und selbstbesoffen, davon. Würde man diesen Konflikt kritisch reflektiert haben, wäre das ein spannender Regieansatz. Als bloße Schlusspointe einer biederen Komödie ist es selbst zu unpolitisch-biedermeierlich.
Musikalisch läuft die Sache erfreulicher. Daniele Gatti geht festlich sprudelnd statt marschhaft in die Ouvertüre, sorgt für flüssiges Parlando zu auch manchmal gut zurückgenommenem Orchester wie im Flieder-Monolog. Das Vorspiel zum dritten Akt breitet spannend die düster-disparate Stimmung vorm Wahn-Monolog aus. In der Schusterstube, womöglich durch das nun offene Bühnenbild, wirkt die Begleitung leider etwas zu laut. Stolzings Preislied auf der Festwiese wird länger und länger, entsprechend klatschen die Wiesenbesucher in Zeitlupe, als sei hier die Filmspur verzögert. Warum, erschließt sich nicht. Davon ab gerät Gattis Dirigat aber stringent, die Chöre ausgewogen, nur beim “Wacht auf” zu demonstrativ.
Ein Traum ist der blühend schöne Sopran von Christina Nilsson als Eva. Sie hat zarte Fülle, Geschmeidigkeit, Frische, genau, wie es sein sollte. Christa Mayer ist ihr mit sattem Mezzoton die bodenständige Freundin Magdalene. Wunderbar gestaltet Matthias Stier den David. Sein Tenor ist von tadelloser Schönheit, geschmeidig, weich, klar und noch dazu wortverständlich. Michael Spyres als Stolzing hat ein eher baritonales Timbre, schwingt sich von dort aber mühelos zu kraftvollen Höhen auf, für den Helden passt die schwerere Stimme gut. Große Fülle bringt Jongmin Park für den Pogner mit, allerdings bei mulmiger Artikulation. Da ist der Kothner des Jordan Shanahan prägnanter.

Den Hans Sachs singt Georg Zeppenfeld mit unermüdlicher Stimme. Sein Bass ist helltönig, darum wirkt sein Poltern immer etwas aufgeklärt. Er hat Power und auch mühelos die höheren Lagen noch in der Schlussansprache. Sehr farbenreich ist er nicht, die Regie bringt ihn am Ende ums Charisma. Michael Nagy gibt einen klangschönen Beckmesser ohne boshafte Färbungen, das ist gut so. Umso weniger versteht man, warum er zu Hans Sachs’ Ansprache den Stecker zieht und der bunten Kuh die Luft ablässt. Ranküne des Unterlegenen oder Kommentar zur nationalen Selbstbeweihräucherung? Auch das wäre in der sonstigen Personenführung nicht motiviert. Der Stecker wird auch wieder reingesteckt, the show must go on.
So bleibt diese Produktion bei aller poppigen Aufbrezelung ziemlich müde Unterhaltung, die den wesentlichen Fragen des Stücks in puncto Generationenfolge und Politik, der schwierigen Rezeptionsgeschichte sowieso, aus dem Wege geht. Zu wenig für Bayreuth. Wagner selbst war in allen Punkten bereits mutiger.