Eiszeit in der Bauhausstadt: Christian von Treskow zeigt am Anhaltischen Theater Dessau eine frostige „La bohème“. Unter dem Panzer aus Schnee und Eis bleibt nur wenig Platz für das wärmende Rot der Liebe.
Durchgängig bitterkalt ist es in dieser Neuproduktion. In einem sechseckigen, luftigen Raum in erster Etage, nur erreichbar über eine Wendeltreppe und auf Stelzen im Bauhausstil, der irgendetwas zwischen Wach- oder Leuchtturm sein könnte (Bühne Dorien Thomsen), lebt die brotlose Künstlergemeinde um Rodolfo, Colline und Marcello ihren Künstler-Traum. Aber die Wirklichkeit da draußen sieht bekanntlich anders aus, und in der Kälte erstarrt so manches. Ganz herkömmlich bringt Schaunard Brot und Wein heim, und das bekannte Drama um die sterbende Mimi nimmt seinen Lauf.
Auf den Bühnen-Hintergrund projizierte Eiskristalle, Schneeflocken und Eiszapfen (Videos Luca Fois) untermauern das dem Sujet gut entsprechende Setting. Und auch Markus L. Frank lässt am Pult seiner Anhaltischen Philharmonie Dessau durch klirrende Orchester-Eruptionen die eiskalte Winter-Weihnachtsnacht musikalisch erleben.
Wäre da nicht das Rot der Liebe, den Charakteren in die warme Winterkleidung eingenäht (Kostüme Bernadette Weber), die Hoffnung wäre schon längst gestorben. Zudem leuchtet kurz und insgesamt die Bühne rot, als Colline (Michael Tews mit sicherem Bass) von seiner Frau singt.
Auch die Befürchtung, das Inszenierung im Klischee versinkt, währt damit nur kurz, denn im zweiten Bild kommt etwas mehr Bewegung ins Drama. Die Ensembleszenerie im OSB-Rohbauplattenbau mit Rotlichtlampen ist Weihnachtsfeier in der Armen-Tafel. Man amüsiert sich prächtig, auch weil vor allem Bogna Bernagiewicz als Musetta mit packender Intensität und sängerischer Ausdruckskraft ihres schlanken Soprans in ihrer Arie „Quando m’en vo“ zu punkten und zu überzeugen verstand. Die Chöre, einstudiert von Sebastian Kennerknecht und Yuri Colossale, geben ein schön harmonisches Gesamtbild der fröhlichen Feier.
Rätselhafter Regiegedanke im dritten Bild übergroße, in den Raum gestellte Buchstaben, mit denen nicht weiter gearbeitet wird und wie die eigentlich interessante Winteratmosphäre auch in bloßer Bebilderung stecken bleibt. Denn für die im Programmheft so schön bezeichnete „Landschaft der winterlichen Seelen“ wird einfach zu viel herumgestanden. In kahlem, freudlosestem Bläulich verhaucht Mimi schließlich ihr Leben.
Ania Vegry gibt die Partie mit großem Ausdruck und deutlicher Intonationskraft, die locker über jeden Orchesterausbruch erhaben ist. Wenngleich in den dramatischen Passagen mit Hang zur Flächigkeit, geraten ihr die leisen und verhaltenen Töne nuanciert und gefühlig. Kurzfristig eingesprungen ergänzt zufriedenstellend Alex Kim als Rodolfo, der mit sicherer Intonation und ebenfalls hoher Ausdruckskraft mit Abstrichen in den Höhen gut den eigentlich vorgesehenen Costa Latsos zu vertreten versteht.
In den weiteren Rollen überzeugten vor allem Barış Yavuz als Schaunard mit balsamischen Timbre seines nuancierten Baritons und Kay Stiefermann als charakterstark intonierender Marcello.
Am Ende viel Applaus für alle Beteiligten. Weitere Vorstellungen am 10., 16., 23. und 29.11.24, 26.12.24, 6. und 26.1.25, 22.2.25.