„Die Walküre“ in Madrid

Über die Romantik ist viel, aber auch nicht viel Gutes geschrieben worden: So warnte Rüdiger Safranski dereinst in seinem Buch „Romantik – Eine deutsche Affäre“ davor, wenn diese Kunstform zur ideologisierten Realpolitik verwendet und missbraucht werde. Beschrieb Romantik als deutsche Tradition, die in den Nationalsozialismus gipfelte. Und erinnerte an Adolf Hitler, der mit der Realisierung seiner kruden Lesart der romantischen Untergangsvisionen à la Richard Wagner die Juden ins Gas schickte.

Von Romantik, die ins Verderben führt, handelt auch die Produktion von Wagners „Ring des Nibelungen“ in der Lesart von Robert Carsen, die mit der Walküre nun am Teatro Real in Madrid am 12.02.2020 fortgesetzt wurde. Carsen hat den ersten Tag der Tetralogie in der aus Köln übernommenen Produktion ans Ende der Ersten Weltkriegs verlegt.

Im ersten Akt kämpfte Hunding auf den Schlachtfeldern. Die Niederlage ist nah, und man findet traurige Bleibe im Militär-Camp (Bühne Patrick Kinmonth). Das ist soweit nichts Neues. Zudem der an diesem Premierenabend mit hochkarätigen Wagnerspezialisten gespickte Besetzungszettel – bis auf Fricka, Siegmund und ein paar Walküren allesamt bayreutherfahren – sich gerade im großen Liebesakt des Rings von einigen Unpässlichkeiten aus dem Orchestergraben anstecken ließ. Pablo Heras-Casado am Pult des Madrider Opern Titularochesters vermochte es zu diesem Zeitpunkt noch nicht, einen rechten Zugriff auf die Partitur zu erlangen. Das Vorspiel schwammig und durch plötzlich abbrechende Spannungsbögen und wie aus dem nichts hervorbrechenden, knalligen Orchestereruptionen schienen auch die Sänger zunehmend in Abstimmungsschwierigkeiten zu geraten. Da konnten auch schön melodiös ausgekostete Passagen und präzise Soli nicht hinweghelfen.

Nichtsdestotrotz hohes Niveau auf der Sängerseite: Adrianne Pieczonka als Sieglinde sorgte mit ihrem silbrig-timbrierten Sopran mit exquisitem Gestaltungsvermögen und Nuancierung für einen musikalischen Höhepunkt. Erstaunlicherweise schlichen sich zum langen Liebesduett allerdings einige leichte Unpässlichkeiten ein, die sich auch im zweiten Akt nicht ganz abstimmen ließen. Insgesamt kann dennoch festgehalten werden, dass diese Darbietung absolut überzeugte!

Stuart Skelton (Siegmund), Adrianne Pieczonka (Sieglinde) ©Javier del Real | Teatro Real
Stuart Skelton (Siegmund), Adrianne Pieczonka (Sieglinde) ©Javier del Real | Teatro Real

Fast meinte man, Hitler und Indiana Jones kämen gleich zur Tür herein. Und dazu angemessen und passend: Plötzlich zischte und brodelte es zur nunmehr dynamisch-gewandelten Szenerie mit Statisten in Uniform aus dem Graben. Nicht der Führer war es, der hineinschritt, sondern Wotan als Kaiser Wilhelm mit Krückstock. Günther Grass beschrieb den letzten Monarchen einmal holzhackend im Exil, hoffend auf die Nazis, um ihn wieder an die Macht zu führen. Tomasz Konieczny gab den Göttervater in seiner langen Schlüsselszene des zweiten Aktes mit guter Textbehandlung durch exakte Intonation und versierte Betonung, wodurch die für ihn immer noch schwierige deutsche, harte Diktion überaus überzeugend händelbar und
vermittelbar daherkam.

Von besonderer Klasse auch der Hunding von René Pape: Ohne die sonst der Rolle oft innewohnende harte, bisweilen brutale Intonation einsetzen zu müssen, gelang es Pape durch reine, differenzierte Gestaltung und Aura bedrohlich zu wirken. Bei René Pape dauerte es länger, bis er bei den Bayreuther Festspielen debütierte. Stuart Skelton war noch nicht dort. Verwunderlich, denn der Australier verfügt über einen ausdifferenzierten, tiefgründigen Tenor. Als Siegmund überzeugte er an diesem Premierenabend mit gestaltender Intonation und flutender Strahlkraft. Die langezogenen Wälse-Rufe entsprachen der starren Dynamik und Langatmigkeit des Beginns.

Wenn man nun fürchtete, es würde inszenatorisch und mit der musikalischen Begleitung aus dem Graben nach dem ersten Akt so weiter gehen, dann wurde man im zweiten Akt eines besseren belehrt: Wie weggeblasen plötzlich Rampentheater und Statik mit dem Wechsel vom Kriegsschauplatz hinauf in die Schaltzentrale der Obersten Heeresleitung des Ersten Weltkriegs. Neben großem Kamin im steinernen Saal die hochromantischen Gemälde Caspar David Friedrichs. An der Seite die Nachbildung der Bundeslade. Auf dem weißen Sofa sich räkelnd Fricka wie später Eva Braun auf dem Obersalzberg.

In rostfarbenem Kleid geriet die Fricka von Daniela Sindram passabel mit starker Wucht, aber bisweilen etwas flächig wirkend. Dennoch gab sie dem Monarchen glaubhaft zu verstehen, dass seine Operation Walküre schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt und sein Traum vom Platz an der Sonne geplatzt ist. Vor abgewracktem Militärjeep und Schneesturm das Ende von Siegmund: Hier schlichen sich wiederum deutliche Spannungsabfälle in die Todesverkündigungs-Szene ein.

Der Walkürenritt des dritten Aktes dann die Heimführung der auf den Giftgas-Schlachtfeldern verreckten Helden. Über den Leichen hinweg entspann sich eine dicht-packender Abschied zwischen Vater und Tochter. Ricarda Merbeth in der Rolle von Brünnhilde steuerte einen durchaus samtigen Sopran bei, der mit Hang zu flackernder Intonation an manchen Stellen durchaus etwas anfällig wirkte. Dennoch ihr Abschied und Flehen am Ende von hoher Intensität und Dichte. Koniecznys Bariton vermochte bis zuletzt zu gestalten, und das Orchester spielte sich im letzten Akt mit großen Ausbrüchen in einen regelrechten Rausch.

Tomasz Konieczny (Wotan) ©Javier del Real | Teatro Real
Tomasz Konieczny (Wotan) ©Javier del Real | Teatro Real

Am Ende öffnet sich die riesige Schiebetür im Bühnenhintergrund. Offenkundig sind es die Auschwitz-Krematorien mit riesigen Gasbrennern: Ein Feuerzauber, der mit diesem Regiegedanken nachvollziehbar aus der stringent herausentwickelten Aussage den deutschen Zuschauern im Halse stecken blieb. Von einer deutschen Romantik, die als Realpolitik verwechselt ins Verderben führt.