Psychogramm einer Missbrauchten: Die Oper Breslau zeigt eine „Salomé“ voll intensiver Klang- und Bilderpracht, die Abgründe zeigt, in manchen Passagen aber auch Schmunzeln zulässt.
Die Inszenierung von Mariusz Treliński ist alt, aber doch so modern. Erstmals bereits 2014 in Prag gezeigt, zeigt das Bühnenbild von Boris Kudlička ein schickes Interieur eines Upper-Class-Hauses irgendwo im nirgendwo eines tropischen Dschungels. Von außen wachsen Schlingpflanzen, und Spinnen, jede Menge behaartes, wuselndes Getier in Videos, mit riesigen Beinen über die Pflanzen und den Bühnenraum kriechend, sorgen für das schwüle Setting, von Bogumił Palewicz in sattes Licht getaucht.
Ein zeitlos modernes Bühnenbild, in das gleich zu Beginn die Geister Salomés Einzug halten. Zarte Puppen mit weißen Masken sind Salomés Alter Ego, die in die innere Welt der von Stiefvater Herodes Missbrauchten Einzug gehalten haben müssen, als es passierte. Und die Salomé nicht mehr loslassen, sie malträtieren in ihrem Kopf.

Die Geister, die sie rief, kulminieren dann auch konsequent in den schlaglichtartig durchchoreographierten „Tanz der sieben Schleier“ (Choreographie Tomasz Jan Wygoda). Variantenreich angedeutet, sitzt erst eine kleine Salomé mit weißer Gesichtsmaske und Playstation spielend im Sessel, als sich von hinten der Stiefvater in schwarzer Gesichtsmaske mit Geburtstagstorte bedrohlich nähert. Am Ende des „Tanzes“ nach nur angedeutetem, aber unmissverständlich durchgeführtem Missbrauch tötet Salomé ihren Peiniger Herodes im rosa Bademantel.

Eine wahnhafte Szene, die den bieder komponierten Tanz Strauss‘ damit wunderbar ins rechte Licht rückt. Der Wahn lässt die Protagonistin nicht los. So können die ständigen von der Seite aus dem Off erklingenden, inbrünstigen Lobpreisungen des Jochanaan nur provozierend wirken. Und sie animieren, drängen Salomé zur blinden Rache. Vorne links am Bühnenrand ist nur der Gefängniskäfig mit Eingang zu erkennen, in dem der Jochanaan darbt. Umso mehr tönt und klingt Oleksandr Pushniaks wunderbar strömender und schmelziger Bariton in den Bühnenraum. Kraftvoll und ausdruckstark, nuanciert und tiefgründig stellt diese Leistung den musikalischen Höhepunkt des Premierenabends dar.
Szenen einer Ehe: Fast lustig in seiner Darstellung kommt der Herodes in Person von Norbert Ernst daher. In seiner wahnhaften Angst vor dem Propheten und dem Machtverlust gepaart mit beständiger Beklemmung durch Herzanfälle, die durch zuviel Wodka-Konsum verursacht werden, trifft er sich in der Küche mit seiner Frau. Dort findet er den toten Narraboth, der sich am offenen Kühlschrank stehend mit einem Messer die Adern aufgeschlitzt hatte. Maciej Kwaśnikowski singt den Narraboth mit strahlendem, deutlichen und präzisen Tenor wunderbar klar aus. Dann erhebt er sich von den Toten, als Jochanaan es verkündet. Norbert Ernst spielt und singt den Herodes mit herrlicher Spielfreude und gerade noch angemessener Ausdruckskraft. Ihm zur Seite steht mit Barbara Bagińska eine kraftvoll zupackende, resolut aussingende Herodias.

Natalia Rubis als Salomé versteht es an diesem Abend, sich nach anfänglichen Intonationsschwierigkeiten ausdrucksstark, kraftvoll und voll strömend in die dramatischen Passagen hineinzusteigern. Wenngleich textlich bisweilen sehr unverständlich, gerät ihr Debüt in dieser Rolle an diesem Abend völlig überzeugend. Mit besonderer schauspielerischer Dichte und Intensität gelingt damit ein packendes Rollenportrait.

Yaroslav Shemet am Pult des Breslauer Opernorchesters lotet in ausgiebiger Klangfülle die immens-füllige und kompakte Partitur aus. Drängend, stringent, dabei präzise und viril werden sehr plastisch die komprimierten Crescendi und explosiven Bögen ausgereizt und ausmusiziert. Das wirkt eindrücklich, auch wenn durch die Klangmassen bisweilen der Gesang auf der Bühne doch etwas in den Hintergrund gerückt wird.
Am Ende sehr viel Applaus für alle Beteiligten.