Die restaurierte Göttermacht: Tobias Kratzer lässt Wagners „Rheingold“ in München in einer Kirchenarchitektur spielen und lauert auf den Aufstand der Sterblichen.
Wer hätte gedacht, dass Gott, die Götter gar doch noch irgendwo in einer Kirche Zuflucht gefunden haben? Auf Schaumstoffmatten und versteckt im Gestühl zwar, aber immerhin, es gibt sie noch. Zumindest in Tobias Kratzers jüngster „Rheingold“-Inszenierung als Auftakt seines „Ring“-Zyklus an der Münchner Staatsoper, die in einem hohen gotischen Kirchenraum spielt. Und sie scheinen wieder Auftrieb zu spüren, diese Unsterblichen, sei es durch Trumps Evangelikale oder allseits wirkenden anti-aufklärerischen Fundamentalismus.
In München jedenfalls erleben wir sie wieder sehr wehrhaft, mit Hammer und Speer, und sehr machtbewusst. Am Ende zieht Wotan die Plane von dem offenbar „in restauro“ befindlichen Hauptaltar, und die Götter nehmen zum feierlichen Einzug in Walhall die Plätze Gottes und seiner Heiligen ein. Nur Loge, ein kettenrauchender Atheist in schwarzem Pulli, hält nichts von diesem Karneval in Flügelhelmen und Brokatkleid, mit dem allbereiten Feuerzeug könnte er auch den Weltenbrand legen, die Gemeinde glotzt bloß.
Bis zu dieser erneuten „Götterdämmerung“ aber ist es ja noch drei Opern lang Zeit. Gemeinhin steht sie für die Ablösung des Polytheismus durch den Monotheismus, die christliche Verstandesreligion, die mit dem Allmächtigen die unlogische Hierarchie von Teilgottheiten abschafft und mit der Allgnade den Weg zu Nächstenliebe und Achtsamkeit weist. Mit dem Christengott hat Kratzers Göttertruppe offenbar nichts zu tun, Ausstatter Rainer Sellmaier nutzt nur die Architektur.
Was aus Kratzers tatsächlich mal neuem Ansatz, im „Ring“ eine Geschichte vom verzweifelten Kampf der Sterblichen gegen die Unsterblichen zu sehen, noch werden soll, bleibt nach diesem Vorabend allerdings ziemlich fraglich. Das ist alles von großen Bildern und detailreicher Personenführung erfüllt, aber ob es wirklich gerade unsere Sorge ist? Ist nicht eher ein grenzenloser Hedonismus, der bewusste Genuss des Augenblicks unter Leugnung aller Verantwortung für die Zukunft, die der Klimawandel verlangen würde, Trend der Stunde? Motto: Nach mir die Sintflut!
Richard Wagner selbst hat ja den Göttern unverkennbar menschliche Züge gegeben, sich nicht zuletzt auf Feuerbachs These berufend, dass Religion nur die Projektion zutiefst menschlicher Ängste und Lüste sei. Und natürlich ist Wotan ein sündiger Gott, mit aller Schuld des Zivilisators und Gesetzgebers belastet, der Natur bezähmen, regeln und ausbeuten will.
Alberich ist bei Kratzer der Nihilist. Sein „Gott ist tot“ prangt selbst in der Kirche, aber wie alle Gottesleugner wartet er um so mehr auf dessen Erscheinung. Die Pistole gegen sich drückt er nicht ab. Stattdessen tollen die Rheintöchter herein und machen sich am Deckel zur Krypta zu schaffen, wo ihnen bald Gold entgegenstrahlt. Wie bei Bibi und Tina kann eine auch ein bisschen zaubern, was aber gegen Alberich offenbar nichts hilft, er schießt eine an und türmt mit dem Schatz. In einer typischen Nerd-Tüftler-Vorort-Garage wird er an Waffen und Schmuck basteln, als Tarnhelm dient ein VR-Brillen-Helm.
Wotans Rückkehr ist aber auch nicht ohne System. Fasolt und Fafner in Schwarz mit Kalkleiste haben einen mobilen Propagandastand wie die Zeugen Jehovas dabei. Sie fallen vor ihrem Gott anbetend auf die Knie, aber für ihre Wotan-Statuetten und den Werbefeldzug wollen sie auch Bezahlung. Kratzer zeigt gewohnt Humor, wenn er Wotan und Loge, Gott und Schalk, im Video per Flugzeug nach Nerd-Town in die Vereinigten Staaten bringt und dabei den Gott und seine Freia-Apfelschnitzchen in der Frischhaltebox beim Sicherheitscheck verdächtig macht. Um so viel mehr, wenn nach erfolgtem Sieg über Alberich eine Kröte darin sitzt. Aus der Kröte wird dann in der Kirche der nackte Alberich, der in dieser Demütigung aber fluchwütige Kraft entwickelt. Und an die Säule pinkelt.
Wenig überzeugend ist, dass der Hort der mit dem Baukran emporgezogenen Freia unter den Füßen aufgetürmt wird, bis sie ihn erreichen kann, dann willkürlich für den fehlenden Ring weiter hochgekurbelt wird. Erda erscheint als fromme Beterin aus dem Kirchenfond, sieht gut aus, aber ist sie nicht eigentlich eine Wotan weit überlegene Naturgottheit? Falsch auch, dass die Rheintöchter nun nochmal mit der Taschenlampe im dunklen Kirchenschiff herumfunzeln, als suchten sie den verlorenen Groschen. Sie wissen, wer den Ring hat und was droht, Loge ruft es ihnen zu.
Klar wird, dass mit der pompösen Besteigung des Altars ein Scheinhöhepunkt erreicht ist, die Restauration ist abgeschlossen, was auch politisch zu denken wäre. Wagner selbst, der Revolutionär, wird dies auf Trug und Naturzerstörung gegründete System einreißen.
Vladimir Jurowski nimmt sich am Pult des Bayerischen Staatsorchesters Zeit für die Entwicklung auch dieses Konversationsstücks. Das Es-Dur-Urwabern kommt nicht so recht in Fahrt, da gibt es auch Intonationstrübungen bei den Bläsern. Aber ab da läuft’s. Er passt sich dem Sprechtonfall gut an, deckt niemanden der Singenden zu und gibt ihnen schönes Fundament, wenn die sanglichen Passagen kommen wie bei den Rheintöchtern des Beginns, den freien Gipfeln und Wotans Einzug in Walhall. Die Textverständlichkeit ist exzellent.
Nicholas Brownlee hat als Wotan einen Prachtbariton, füllig-weich und prägnant. Den Alberich charakterisiert Markus Brück mit vollem, kraftstrotzendem, im Fluch nochmal dramatisch aufgehendem Bassbariton. Sean Panikkar singt den Loge mit einem wunderbar geschmeidigen Tenor, bleibt trotzdem präzise in der Diktion. Klangvoll die Bässe von Matthew Rose und Timo Riihonen als Fasolt und Fafner, mit starker Artikulation singt Ekaterina Gubanova eine geschmeidige Fricka. Und Wiebke Lehmkuhl legt mit fülligem Alt Erdas Ur-Warnung aus. Wenn sie den „düstren Tag“ beschwört, der den Göttern dämmere, lässt Jurowski das Orchester hintergründig schimmern, als ginge hier nun bereits die „Götterdämmerung“ auf. Die Münchner Besetzung ist auf allen Positionen spitze. Wohin die Regie führen mag, ist zumindest spannend.